Großer Anspruch mit vielen Löchern
Autor: Thomas Schumacher | Erstveröffentlichung in WATERKANT 2-2016*
30 Jahre Nationalpark, Biosphärenreservat, Weltnaturerbe – dem niedersächsischen
Wattenmeer sind große Titel angepappt worden. Die Gründung der deutschen maritimen
Nationalparks war eine Konzession an zivilgesellschaftlichen Protest als Reaktion auf Umweltkatastrophen. Bis heute ist der „Naturschutz“ an der norddeutschen Küste ein politisches Konsensmanagement zwischen Landwirtschaft, Tourismus, Industrie, Hafenwirtschaft – ja, und Naturschutz.
Der Auftritt hat Geschmäckle. Nicht wegen der vielleicht hormonverseuchten Lachsschnittchen und der sicher mit Mikroplastik angereicherten maritimen „amuses gueules“, die auf möglicherweise genmanipulierten Weißbrotscheiben gereicht wurden – nein, wegen der Teilnehmer, die all dies anlässlich des 30. Geburtstags des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer verschlangen. Die CDU-Landtagsfraktion hatte Ende Mai ins Besucherhaus der Nationalparkverwaltung in Wilhelmshaven zur Geburtstagsfeier geladen. IHK, Fischereiverbände, Jäger, Landkreise, Gemeindebürgermeister, Vertreter der Landwirtschaft – alle kamen, um das vermeintliche Naturschutzgebiet zu loben und zu preisen. Vor drei Jahrzehnten hatten sie alle den Naturschutz als institutionalisierte Hölle bekämpft und zu verhindern versucht.
Um zu verstehen, wie sich die „Hölle“ Nationalpark zum „ökologischen Aushängeschild“ der Region verwandelt hat, ist ein Rückblick nötig. 1980 diagnostiziert ein Sondergutachten des Rates der Sachverständigen für Umweltfragen (SRU) einen desolaten Zustand der Nordsee (1). Wasserverseuchung, Fischverkrüppelungen und Seehundesterben werden zum ersten Mal offiziell den giftigen Einträgen von Industrie und Landwirtschaft aus den Flüssen sowie der direkten Giftverklappung in die und der -verbrennung auf der Nordsee zugeschrieben, nachdrücklich problematisieren die Forscher die Vereinbarkeit von Naturschutz und zunehmendem Tourismus. Die amtlich genehmigte Verklappung von Dünnsäure, schwefelsaurer Abfall aus der Titandioxid-Produktion in Leverkusen und Nordenham, wird plötzlich zum „tagesschau“-Thema, als Mitglieder von Bürgerinitiativen und Umweltorganisationen Verklappungsschiffe wie die „Kronos“ in Nordenham und auf See blockieren und behindern. Und gelegentlich müssen entlang der Küste die Menschen bei nördlichen Winden die Fenster schließen, weil die Giftschwaden aus der Seeverbrennung von organohalogenen Abfällen herüberwehen.
Gleichzeitig wird versucht, die Küste mit neuen Industrieanlagen zuzupflastern. Manche Projekte werden realisiert, Brunsbüttel beispielsweise; viele aber scheitern, nicht zuletzt am lokalen Widerstand von Initiativen: Altenbruch, Luneplate, Wilhelmshaven, Emden… – Apropos Emden: Seit den 1970er Jahren soll mit dem Projekt Dollarthafen in der Emsmündung ein Tiefwasserhafen (hört! hört!) entstehen für bis zu 17 Meter tiefgehende Schiffe (2) und neue Arbeitsplätze in eine strukturschwache Region mit bis zu 20 Prozent Arbeitslosigkeit bringen. Die Planung wird in den nächsten Jahren zum Desaster. Schließlich führen Proteste und Demonstrationen von Umweltschützern sowie eklatante Planungsfehler zum Aus für das Vorhaben – allerdings erst 1988: Die Kosten waren von 485 Millionen auf 1,5 Milliarden D-Mark gestiegen, die wirtschaftlichen Prognosen entpuppten sich als falsch, die Umweltschäden als nicht abschätzbar.
Anfang der 1980er Jahre hat die öffentliche Debatte über das SRU-Gutachten politische Folgen. Die sozialliberale Bundesregierung zeigt Aktionismus und lädt die „für Angelegenheiten des Schutzes der Nordsee zuständigen Minister“ aller Nordseeanrainer zu einer „Internationalen Nordseeschutz-Konferenz“ nach Bremen ein; eigenständige „Umweltministerien“ gibt es damals fast nirgends. Durch Kanzlerwechsel obliegt die Durchführung 1984 dann CSU-Innenminister Friedrich Zimmermann. Aber auch die Bürgerinitiativen der Küste und Umweltverbände formieren sich, rufen auf zu einer Gegenveranstaltung (3). Aus dieser zweitägigen „Aktionskonferenz Nordsee“ (AKN) entsteht ein Jahr später der gleichnamige Verein, die WATERKANT wird kurz darauf als sein Mitteilungsblatt gegründet.
Im Kontext von Nordseeverseuchung, gescheiterten Großprojekten und der breiten Revolte gegen die Atomkraft (Supergau Tschernobyl 1986) sowie dem Wachsen der Grünen als deren politischer Inkarnation musste die traditionelle Politik reagieren. Auch Niedersachsens damaliger Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU), durchaus umstritten und vor allem Gorleben-geschädigt, konnte sich dem nicht entziehen. 1979 hatten Hans-Joachim Aust und Holger Wesemüller ein Gutachten erstellt, das alle schützenswerten Gebiete an Niedersachsens Küste auflistete und nach ihrer Schutzwürdigkeit bewertete. Sie schlugen vor, die Zersplitterung durch Vogelfreigebiete und Landschaftsschutzgebiete aufzuheben und sie in ein flächendeckendes Schutzgebiet zu integrieren. Der Vorschlag, dieses Schutzgebiet zu zonieren, also es einzuteilen in streng geschützte, geschützte und schwach geschützte Zonen, war die Vorlage für die Politik, den Naturschutzgedanken abzupuffern und so den „Nutzern“ wie Tourismus, Wirtschaft, Sport oder Fischern einen politischen Einstieg in ein „Naturschutzprojekt“ zu ermöglichen. Albrecht erkannte die Chance, ein Signal zu setzen, ohne jemandem weh zu tun – zumal er sich an seinem schleswig-holsteinischen Parteifreund und Amtskollegen, dem nicht minder umstrittenen Uwe Barschel, orientieren konnte. Gegen den ausdrücklichen Willen seines Landwirtschaftsministers Gerhard Glup, gegen alle Deichverbände, Bauernverbände und Inselgemeinden, die zu diesem Zeitpunkt gar nicht in das „Schutzprojekt“ eingebunden waren, verordnete Albrecht 1984 einen Wattenmeer-Nationalpark für Niedersachsen. Der wurde dann nach langen Diskussionen 1986 – ein Jahr später als in Schleswig-Holstein – eingerichtet.
„Wir haben gegen die Nationalparkverordnung gekämpft“, bestätigt jetzt auf der CDU-Feier der Senatspräsident des Wilhelmshavener Stadtrates, Helmut Möhle, damals Chef der Sportverbände in der Stadt: „Wir hätten niemals akzeptiert, dass Einschränkungen des Segelsports im Wattenmeer beschlossen werden könnten.“ Möhle ist nur ein Beispiel, wie aggressiv Behörden und Interessenvertreter gegen die Albrecht-Verordnung agiert haben. Niemand an der Küste wollte einen Nationalpark. Keiner wollte „Privilegien“ abgeben, sprich, den herkömmlichen Raubbau an der Natur unterlassen. „Das Wattenmeer ist keine natürliche Landschaft, sondern eine von Menschen geschaffene Kulturlandschaft und braucht deswegen nicht unter Schutz gestellt werden“, soll der damalige Chef der Industrie- und Handelskammer Wilhelmshaven nach Angaben von Kai-Uwe Bielefeld, Landrat von Cuxhaven, gesagt haben.
Bielefeld ist aktuell auch Vorsitzender des Nationalpark-Beirates, der dem Anspruch nach die praktische Arbeit im Nationalpark begleiten soll. Schon bei Einberufung dieses Beirats urteilte Naturschützer Manfred Knake (heute „Wattenrat Ostfriesland“) in der allerersten Ausgabe dieser zeitgleich entstandenen Zeitschrift über dessen Zusammensetzung: „Es ist zu befürchten, daß dieses Gremium einen ganz anderen Nationalpark will, als es gesetzlich vorgeschrieben ist: Keinen Park zur Erhaltung der bedrohten Tier- und Pflanzenwelt des einmaligen Lebensraumes Wattenmeer, sondern einen wohlfeilen Rummelplatz der Nutzungsinteressen – den bereits faktisch bestehenden ‚Freizeitpark Wattenmeer‘“ (4).
Unter dem Zwang, irgendetwas gegen die Verseuchung der Nordsee zu tun, ging es nach Gründung des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer von Anfang an darum, keinem der Ausbeuter der Nordsee auf die Füße zu treten. Dies hat sich bis heute im Kern nicht geändert. Gleichwohl war ein flächendeckendes Schutzgebiet an der Küste ein Fortschritt. Immerhin wurde so deutlich gemacht, dass das Wattenmeer, die anliegende Küste und die vorgelagerten Inseln schutzwürdig sind.
Zu seinem 30. Geburtstag stellen sich der niedersächsische Nationalpark und das gesamte Wattenmeer zwischen Den Haag und Esbjerg als intensive Wirtschaftszone dar. Amsterdam, Eemshaven, Delfzijl, Emden, Wilhelmshaven, Bremerhaven, Cuxhaven, Hamburg und Esbjerg sind Häfen von internationaler Bedeutung. Ems, Weser und Elbe sind Industrieflüsse mit herausragender wirtschaftlicher und infrastruktureller Funktion. Niedersachsen und Schleswig-Holstein sind landwirtschaftliche Kernländer. Der Tourismus auf allen Inseln und in der Küstenregion ist mit „hart“ noch sanft beschrieben. Unter den Etiketten der verschiedenen regionalen Nationalparks und des Weltnaturerbes wird die Region aggressiv vermarktet. Der Schutzgedanke kann dabei, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Als der Leiter der Nationalverwaltung des niedersächsischen Nationalparks, Peter Südbeck, die CDU-Fraktion in Wilhelmshaven für den Schutz des Wattenmeers zu begeistern versuchte, lobte er den Knutt als Imagevogel für das Wattenmeer aus. Unverständlicherweise verschwieg er, dass gerade der Knutt als Rastvogel in seinem Park stark zurückgegangen ist und gar nicht mehr häufig im deutschen Wattenmeer vorkommt. Die deutsche Forscherin Jutta Leyrer und das Niederländische Institut für Meeresforschung stellten kürzlich fest, dass der Knutt an der europäischen Küste schlichtweg verhungert. Verantwortlich dafür seien Muschelarmut und Überfischung, so die Forscherin. Im afrikanischen Pendant zum europäischen Wattenmeer, dem Nationalpark Banc d’Arguin vor der Atlantikküste Mauretaniens dagegen, gehe es dem Knutt wegen des reichen Nahrungsangebotes sehr gut. Diese Region ist schon seit 1976 streng geschütztes Vogelressort (5).
Südbeck, selbst gelernter Ornithologe und ehemaliger Leiter der staatlichen Vogelschutzwarte Niedersachsens, verschwieg seinen Festgästen auch den dramatischen Brutvogelrückgang in seinem Nationalpark. In seinem eigenen Haus, der Nationalparkverwaltung, ist auch das Trilaterale Wattenmeersekretariat untergebracht, dessen Untersuchungen seit langem den Rückgang der Brutvögel im Wattenmeer dokumentieren. Ein Grund ist, dass ein anderes schutzwürdiges Gut in den Nationalparks verrottet: die Salzwiesen.
In den rund 50 Jahren vor Einführung der Wattenmeer-Nationalparks wurden durch Eindeichung 216 Quadratkilometer Salzwiesen dem direkten Meereseinfluss entzogen. Es verblieben 329 Quadratkilometer Salzwiesen zwischen den Niederlanden, Deutschland und Dänemark. Der Niedersachsen verbleibende Rest von 85 Quadratkilometern verdient, bis auf einige Vorzeigewiesen auf den Inseln, den Namen Salzwiese nicht mehr (6). An dieser Beschreibung aus dem Jahre 1991 hat sich bis heute wenig geändert, zumal gerade in den Deichvorflächen intensiv entwässert wird (Grüppenfräsung). Die Salzwiesen verdorren und werden mit Quecken überwuchert, kein Habitat für Bodenbrüter. Durch die exzessive touristische Nutzung der Strände finden zudem Sand- und Seeregenpfeifer und Zwergseeschwalben als Bodenbrüter kaum noch ungestörte Nistplätze.
Ein stillschweigend hingenommenes Übel sind auch ausgebüchste ehemalige oder unbeaufsichtigte Haustiere wie Katzen und Marder. Sie sind Todfeinde der Brutvögel und vernichten ganze Kolonien. Was sie übrig lassen, schaffen Menschen weg: Jedes Jahr werden Insulaner beim Sammeln von Vogeleiern zwecks Verkauf an Hamburger Edelrestaurants erwischt. „Das haben wir immer so gemacht“, ist der selbstbewusste Kommentar der Einheimischen. Keine Insel und keine Küstengemeinde kommt zudem mit dem Hundeproblem klar. Bei mehr als 40 Millionen Übernachtungen an der deutschen Nordseeküste schlafen immer mehr Hunde neben Frauchen und Herrchen. Mit der Begründung „hier ist doch Platz und der Hund braucht Auslauf“ peesen Dackel, Dobermann und Schäferhund noch in die entlegensten Winkel der Strände und Dünen und frönen zur Freude ihrer Besitzer ihrem Jagdtrieb.
Von alledem hört man auf der CDU-Feier zum Geburtstag des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer in Wilhelmshaven nichts. NP-Chef Südbeck hebt dagegen die erfolgreichen Kooperationen mit den verschiedensten Interessengruppen hervor. Das ist ganz im Sinne seines ehemaligen Vorgesetzten, des früheren niedersächsischen Umweltministers Hans Heinrich Sander (FDP). Er lasse sich lieber von der Industrie, der Wirtschaft und den Tourismusverbänden im Umweltschutz beraten, als von Umweltschützern, tönte der einst, forderte den Ausbau der Atomkraft, schlug im streng geschützten Biosphärenreservat Unterelbe eigenhändig Bäume, öffnete in der geschützten Zone des Nationalparks einen öffentlichen Radweg und vertrieb damit Zug- und Rastvögel. Dafür spendierte er damals sogar Freibier.
Nicht angesprochen wurde auf der Wilhelmshavener Geburtstagsfeier auch die Tatsache, dass in streng geschützten Zonen des Nationalparks weiterhin gejagt werden darf. Gerade in der CDU-Fraktion befinden sich viele Jäger, sie stellt auch den Chef der niedersächsischen Schießfreunde. Für die fast 200 deutschen Fischereischiffe gibt es keine Beschränkungen in Naturschutzzonen. Schweinswale ersticken als Beifang in ihren Netzen, der Meeresboden wird durch ihre Kurren (Fangnetze) flächendeckend aufgerissen. Jedes Jahr sterben bis zu eine Milliarde Jungschollen, 8-30 Prozent der Bestände zwischen Niederlande und Dänemark, als Beifang in Krabbenfischernetzen – ein Fangverhältnis von 1:8. Ein Kilogramm Krabben tötet acht Kilogramm Petermännchen, Krebse oder Seesterne. Statt über Einschränkungen der Fischerei zu reden, üben sich alle Verantwortlichen in „Kooperationen“. Kein Politiker in Niedersachsen kann es sich leisten, fischereifreie Zonen im Nationalpark zu fordern.
Besonders zynisch wird es, wenn Offshore-Windkraftanlagen – zwischen denen natürlich nicht gefischt werden darf – als neue Kinderstuben für Fische ausgelobt werden. Dass für sie der Meeresboden perforiert wird, Luftsperren für Zugvögel hochgezogen werden, Kabeltrassen das Wattenmeer zersägen oder ganze Inseln durchschneiden (Norderney), das wird nicht erwähnt.
Wie kommt der Offshore-Strom in unsere Steckdose? – Imagefilm zur „umweltverträglichen“ Zerstörung des Wattenmeers.
Laufzeit: ca. 30 min.
http://www.ludwig-freytag.de/videos/waddensea-de.php
Da ist es schon ein dreistes Sahnehäubchen, wenn Festredner Björn Thümler, Fraktionschef der niedersächsischen CDU, hervorhebt, seine Partei wolle die Nordseeinseln als „Modellregionen emissionsloser Nordseeinseln“ ausweisen. „Netter Gedanke, aber Unfug“, kommentiert der Norderneyer Bürgermeister Frank Ulrichs. „Wir machen schon unheimlich viel, um umweltfreundlich zu wirtschaften. 1990 ist sogar geprüft worden, ob wir die Inseln durch die Offshore-Anlagen mit Strom versorgen können. Ergebnis war, das ist finanziell und technisch nicht möglich.“
Das Gegenteil ist der Fall! Weil aller Strom in die öffentlichen Netze eingeleitet werden muss, braucht man konventionelle Kraftwerke, um die Netzleistung stabil zu halten. Je mehr Erneuerbare Energie, desto mehr konventionelle Energie braucht man in den Netzen, ein Teufelskreis. Selbst der CDU-Aktion zu mehr Elektroautos auf den Inseln erteilt Ulrichs eine Absage: „Ganz klar, wir und Borkum sind Autoinseln. Auf den kleineren Inseln gibt es eh keinen Autoverkehr. Norderney verzeichnet in der Saison bei knapp 3800 Einwohnern 4,5 Millionen Übernachtungen und 75.000 Pkw. Da ist emissionsfrei reine Illusion.“ Derweil freut sich Südbeck schon darüber, dass es bei jährlich fast 40 Millionen Übernachtungen an „seinem“ Nationalpark wenigstens keine Jet-Skis auf dem Wasser gibt…
Andere, „globale“ Probleme setzen der Nordsee ebenso zu. Beispiel Müll. Laut niedersächsischem Umweltministerium „lauern“ auf dem Grund der Nordsee 600.000 Kubikmeter Müll. In den Mägen der Anfang des Jahres gestrandeten Pottwale fanden die Veterinäre große Mengen Abfall, vom Autoteil über die Plastiktüte bis zum Fischernetz. Marcus Eriksen vom Five Gyres Institut hat mit seiner Forschungsgruppe 24 Plätze in internationalen Gewässern beprobt und kommt zu dem Schluss (7): Schätzungsweise 5,25 Billionen Plastikteile aller Größen schwirren in den den Meeren herum, bekanntlich eine Bedrohung nicht nur für Flora und Fauna, sondern mittlerweile auch für die Fisch verzehrenden Menschen.
Dass auch die Deichvorländer der Nationalparks keine Pufferzonen sind, zeigen zwei Beispiele. Durch Ems, Elbe und Weser wird die Nordsee täglich mit Nährstoffen aus der Landwirtschaft getränkt. Die Nordsee wird überdüngt, jährliche Algenblüten sind nur eine ihrer Reaktionen. Ebenso schlimm sind die ständigen Ausbaggerungen der Fahrrinnen. Ihr Schlick wird teilweise in der Nordsee verklappt. Allein die Verschlickung des Hamburger Hafens hat deutlich zugenommen. Die Baggermengen wuchsen von 2,45 Millionen Kubikmeter 2011 auf 6,07 Millionen Kubikmeter 2013, die Kosten erhöhten sich von 40 Millionen Euro 2011 auf 66 Millionen Euro im 2014. An der Ems sieht es nicht besser aus. Allein für die Überführung der gigantischen Kreuzfahrtschiffe der Papenburger Meyer Werft wurde der Fluss – mit Zustimmung von WWF, BUND und NABU – zerstört. Er ist heute quasi sauerstofffrei. Die gewaltigen Mengen ausgebaggerten Schlicks werden größtenteils in der Nordsee verklappt und ersticken das Benthos – auch in den Nationalparken.
Ein Schlaglicht auf den Umgang mit Schutzzonen wirft eine dem ersten Anschein nach unscheinbare Begebenheit in der Stadt Esens: In seiner Eigenschaft als Leiter der staatlichen Vogelwarte Niedersachsen hatte Peter Südbeck 2005 versucht, vor der EU-Kommission die Ausweisung eines Vogelschutzgebiets zwischen Norden und Esens zu verhindern. Südbeck unterstellte, in der Region gäbe es nur zwei relevante Arten, die bräuchten kein Schutzgebiet. Erst ein Gegengutachten des Wattenrats widerlegte Südbeck und zwang die Behörden, das Areal doch als Vogelschutzgebiet der EU zu melden. Um aber ihre laufenden Planungen für den Bau einer Umgehungstraße in Bensersiel sowie eines Golfplatzes in Neuharlingersiel nicht zu gefährden, sparte die Gemeinde Esens just die Flächen für die Autotrasse und den Golf aus der Meldung des Schutzgebiets aus – illegalerweise, wie drei Gerichtsinstanzen später feststellten. Der Besitzer der Flächen war derweil von der Gemeinde enteignet worden. Er klagte gegen die Enteignung und gegen die Bauplanung der Gemeinde. In allen drei Fällen bekam er vor den Gerichten Recht – hat aber bis heute weder eine Abfindung bekommen noch wurde die Strasse gesperrt. Falls den zuständigen Behörden nicht noch ein „Trick“ einfällt, wird sie wohl zurückgebaut werden müssen.
Zugegeben, die Beurteilung des aktuellen Stands der Nationalparkorganisation mag etwas einseitig sein. Weiterhin bleibt die flächendeckende Ausweisung von Schutzgebieten sinnvoll. Auch der pädagogische Aspekt der Arbeit im Nationalpark ist wichtig. Allein in Niedersachsen informieren 19 Nationalparkhäuser über Naturschutz im Wattenmeer. Vielerorts zählen sie zu den touristischen Hauptattraktionen mit den meisten Freizeitangeboten für Gäste. Auch die Neueinstellung von Nationalparkrangern ist positiv. Es sind aber immer noch viel zu wenige und sie haben leider auch keine exekutive Befugnis, dürfen bei Verstößen gegen die Naturschutzgesetze also keine Platzverweise oder etwa Geldstrafen verhängen. Zudem haben sie in den riesigen Wassergebieten keine eigenen Boote. Mit ihren Anzeigen gegen Verletzungen der Schutzgebote tut sich die Polizei, wenn sie überhaupt etwas tut, sehr schwer. Da freut sich der gemeine Umweltschützer schon, wenn zum 30. Geburtstag des Nationalparks Wattenmeer in Wilhelmshaven kein Feuerwerk abgebrannt wird. Dies bleibt den Küsten- und Inselgemeinden für Silvester vorbehalten. Strafanzeigen des Wattenrats gegen die Feuerwerke wegen Verstoßes gegen das gesetzliche Störungs- und Vertreibungsverbot von Watvögeln und Gänsen im Nationalpark schmetterte die Auricher Staatsanwaltschaft ab: Es sei ja gar nicht nachgewiesen, dass in den entsprechenden Gebieten überhaupt Vögel gewesen wären, so Oberstaatsanwalt Johann Boelsen (8).
Anmerkungen:
* Die Zeitschrift WATERKANT erscheint seit 30 Jahren. Dem ehrenamtlichen Engagement ist es zu verdanken, dass auch die andere Seite der Geschichte(n) dargestellt wird und Verbreitung findet.
1. Das SRU-Sondergutachten „Umweltprobleme der Nordsee“ ist als Buch vergriffen. Verfügbar ist aber die damals zur Unterrichtung der Abgeordneten erschienene Bundestagsdrucksache 09 / 692,
PDF-Download unter http://kurzlink.de/sru_1980.2. Lutzky, Nikolai & Märtin, Herbert & Birg Herwig: Hafenstädte als Industriestandorte – Gutachten des DIW, Berlin, im Auftrage des Bremer Ausschusses für Wirtschaftsforschung (BAW); Bremen, 1980; ISBN 3-922 419-05-4.
3. Details siehe http://www.waterkant.info/?page_id=2886
4. Knake, Manfred: „Nationalpark-Beirat Niedersachsen – Die ‚Machtergreifung‘ des Naturschutz-Verhinderungs-Kartells“; in: WATERKANT, Jg. 1, Heft 1 (September 1986), Seite 3 ff.
5. Leyrer, Jutta, et. al.: „Mortality within the annual cycle: seasonal survival patterns in Afro-Siberian Red Knots Calidris canutus canutus“; in: Journal of Ornithology, 2013, 154; 933-943; deutschsprachige Zusammenfassung unter http://kurzlink.de/leyrer_knutt
6. The Wadden Sea, Status and Developments in an international perspective; Esbjerg, 1991
7. Die Studie „Plastic Pollution in the World´s Oceans“ erschien 2014 im Online-Dienst „PLOS ONE“ der nichtkommerziellen kalifornischen „Public Library of Science (PLOS)“, Download unter http://kurzlink.de/plos_eriksen.
8. http://kurzlink.de/wattenrat_boelsen