Ostfriesische Teekultur 2016 aufgenommen ins UNESCO Weltnaturerbe.
Autor: Thomas Schumacher*
Deutsche trinken Kaffee. 180 Liter im Jahr pro Kopf. Überall? Nein! Eine kleine Halbinsel im Nordwesten der Republik mit nur 465.000 EinwohnerInnen hat Sinn an Tee. Ostfriesland schluckt 290 Liter Tee pro Jahr. Von der Küste aus gesehen ist Restdeutschland mit einem Pfützenteekonsum von 26 Litern unterentwickelte Randlage.
„Nach einer Tasse Kaffee geht der Blutdruck rauf und zack, wieder runter. Fertig. Ostfriesen geht es um den Genuss nicht um die Droge“, die ehemalige Leiterin des Kulturbüros in der Ostfriesischen Landschaft, Uda von der Nahmer, liebt Tee. Sie atmet Tee. „Ostfriesen trinken regelmäßig Tee. So dreimal am Tag. Oder vier Mal. Oder Fünfmal. Eigentlich trinken wir immer Tee“, pflegt der große, alte ostfriesische Reformpädagoge und Schriftsteller Johannes Diekhoff aus Aurich „Zugereisten“ den Mythos des Tees zu erklären.
Zur persönlichen Sicherheit
Dreimal ist Ostfriesenrecht, dieser Kalauer hat einen sicherheitspolitischen Hintergrund. Egal wie Ostfriesen von ihren Funktionären beschrieben werden, in echt waren sie intrigant, streitsüchtig und auf ihren Vorteil bedacht. Aber Gastfreundschaft war ihnen heilig. Oder anders: Erst mal abwarten und ein „Sökpe“ (Bier oder Schnaps) trinken und ausbaldowern ob der Gast eine lukrative Beute sein könnte. Solange der Gast seinen Becher gefüllt hatte, war er sicher. Dreimal wurde nachgegossen. Danach war er Freund oder tot. Man kann davon ausgehen, dass Gastfreundschaft in einer ostfriesischen Teerunde heute anders gehandhabt wird. Aber mindestens drei Tassen Tee sind immer noch Ostfriesenrecht.
Die Zeremonie
„Genuss verlangt Zeit“, weiß Uda von der Nahmer. TeetrinkerInnen begeben sich auf eine Reise zu sich selbst. Dazu brauchen sie das Stövchen. Das ist ein aus Messing geschlagenes Podest mit einem Teelicht um den Tee in der Kanne heiß zu halten. Die Kanne ist idealerweise aus weißem, geriffeltem Porzellan, bemalt mit einer zarten roten Rose. Die dazu passenden Tässchen sind hauchdünn. Dazu gibt es ein Kännchen mit abgesondertem Rohm (Sahne) von frischer Milch und ein Töpfchen mit Kluntjes, groben Kandisstücken. Übrigens, das Geschirr heisst zwar so, ist aber nicht ostfriesisch. Es kommt ursprünglich aus China, dort war Tee schon lange vor Christi Geburt eine allerwelts Handelsware. Aus Marketinggründen schufen die Chinesen immer neue Geschirrmoden. Als der Tee und die aktuelle Geschirrmode im 17. Jahrhundert nach Europa kam, dachten die Ostfriesen, Tee und Geschirr gehörten unverbrüchlich als Einheit zusammen. Zurück zum hier und jetzt, zur Teezeremonie. Man legt so viele Kluntjes in sein Tässchen wie man möchte (mehr als zwei passen eh nicht rein) und gibt den heißen Tee darüber. Ohm …, die Meditation beginnt. Wir lauschen auf das Knistern des Zuckers. Mit einem feinen Kellchen legt man – legen!!! – den Rohm sacht über den Tee. Die Sahne explodiert zum Wulkje (Wolke), jener dynamischen Figuration, die dem eigentlichen, vorsichtig formuliert, geschwindigkeitsbegrenztem Charakter der Ostfriesen entgegensteht. Gegensätze ziehen sich an. Das zierliche Löffelchen neben dem Tässchen beweist nur die Vollständigkeit des Services im Haushalt. Nicht damit rühren! Legen Sie das Löffelchen ins Tässchen, signalisiert das ihre Unmöglichkeit, weiter Tee ins sich hineinzuschütten. Zum Tee gibt es trockenes Gebäck – niemals Kuchen oder gar Torte. Da die Teeblätter lose in der Kanne aufgebrüht werden, wird das Getränk mit der Zeit immer herber. Mindestens dreimal ist Ostfriesenrecht, die dritte Tasse kann schon recht kräftig sein. Trotzdem zündet der Geschmack immer in drei Stufen auf der Zunge. Zuerst der fette Milchgeschmack der Sahne, dann das Aroma des leicht bitteren Tees, der wiederrum vom süßen Schmeichel des Zuckers abgerundet wird. Wer glaubt, dieses Zeremoniell zu Tages- und Nachtzeiten sei abgefahren, dem sei gesagt: Die Sehnsucht nach diese Zelebration zieht sich durch alle Schichten und Altersklassen! Sollten Sie in einem Cafe Tee bestellen, bedenken Sie, auch hinter dem Deich ist die Globalisierung
angekommen. Selbst in Aurich, Wittmund oder Reepsholt könnte Ihnen ein Glas mit Teebeutel und heißem Wasser serviert werden. Teebeutel sind für echte Friesen Verrat. Vergewissern Sie sich vorsichtshalber mit einem Blick durchs Fenster, ob Sie nicht doch in England sind!
Der Tee ist fertig
Tee ist Berufung, Glaubenssache, Lebenselixier. Auf die Sorte kommt es an. Ostfriesen Tee dürfen sich viele Tees nennen. Die „echten“ verbürgen sich mit ihrem Namen: Bünting, Thiele, Onno Behrends. Die Unternehmen aus Leer, Emden und Norden sind die letzten Markenfirmen, die echten Ostfriesentee herstellen. Die Leitmarke der Leeraner Handelsgruppe Bünting, der „Grünpack“ wurde 2012 als „Marke des Jahrhunderts“ ausgezeichnet. Der Ostfriesentee ist jeweils eine geheime Mischung aus bis zu 20 Sorten, vornehmlich Assam Tees. Das Aroma ist kräftig herb. Genau genommen sind nur Bünting und Thiele echt, weil sie von den jeweiligen Unternehmen selbst in Ostfriesland hergestellt werden. Nachdem die Niederländer im 17. Jahrhundert den ersten Tee nach Europa brachten, kam er zuerst über den kleinen Küstenverkehr nach Ostfriesland. Seitdem ficht das Heißgetränk einen rücksichtslosen Konkurrenzkampf gegen Bier und Schnaps aus. Wegen des schlechten, moorigen Brackwassers war eigentlich der Alkohol das Grundnahrungsmittel an der Küste. Auf die Idee, zur allgemeinen Befriedung Schnaps in den Tee zu gießen, sind die Ostfriesen noch nicht gekommen.
Info
Das Ostfriesische Teemuseum Norden ist ein Museum in der ostfriesischen Stadt Norden. Es hat seinen Sitz im Alten Rathaus der Stadt und ist Mitglied im Museumsverbund Ostfriesland.Am Markt 36, 26506 Norden, Deutschland
Telefon: +49 4931 12100
http://www.teemuseum.de/TeeMuseum – Sammlung Oswald-von Diepholz zur internationalen Kulturgeschichte des Tees
Das TeeMuseum zeigt auf drei Etagen im historischen Haus „Am Markt 33“ (erbaut ca. 1540) anhand von Exponaten aus mehr als tausend Jahren die Entwicklung der Teegerätschaften und stellt die Bedeutung des Tees für alle Kulturen, Zeitabschnitte und Lebensbereiche, insbesondere für die höfische Kultur des 18. und 19. Jahrhunderts dar.
Am Markt 33, 26506 Norden, Deutschland
Telefon: +49 4931 13800
http://www.teemuseum-norden.deDas Bünting Teemuseum in der Altstadt von Leer bietet einen umfassenden, interessant designten Einblick in die Geschichte, die Produktion und den Handel mit Tee.
Brunnenstraße 33, 26789 Leer
https://www.buenting-teemuseum.deViele Heimatmuseen in Ostfriesland haben „ihre“ Teeecke.
* Thomas Schumacher schreibt über Ostfriesland. Er veröffentlicht u.a. in der taz, WATERKANT und wenn Sie möchten, auch für Sie. Wohnhaft in Leer ist er immer in der Nähe des Geschehens.
Kontakt über +49 491 9711188 oder schumipress@web.de
Ergänzung
von Volkmar Kayser
Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg brach eine Periode des Hamsterns an. Ostfriesen fuhren in das Ruhrgebiet, um Bergarbeitern ihre Schwerstarbeiter-Teezulagen gegen Speck, Butter oder Eier abzutauschen. Auch umgekehrt kamen die Frauen von Bergarbeitern, die „Teewiefkes“, vor allem aus Westfalen, mit Tee aus Bergarbeiter-Sonderrationen nach Ostfriesland für diesen Tausch. Nach Währungsreform und Staatsgründung dauerte es noch bis 1953, bis die Teesteuer auf ein erträgliches Maß gesenkt wurde und die Menschen in Ostfriesland sich wieder so viel Tee leisten konnten, wie sie wollten.
Frau Hieronimus, die letzte Besitzerin des Hauses am Runden Graben 14 in Loquard – nunmehr Ferienhaus »Dat lüttje Hüske« – erzählte mir einmal folgende Geschichte:
Während der Nachkriegszeit kamen viele Städter auch nach Loquard zum Hamstern. Das Angebot, Tee gegen Lebensmittel eintauschen zu können, sei allzu verlockend gewesen. So ließ sie sich hinreissen, von dem Wenigen, was eine Deicharbeiterfamilie aus eigenem Garten erwirtschaftet hatte, abzugeben und gegen den begehrten Tee einzutauschen. Als es dann an den Genus des Tees gehen sollte, musste sie leider feststellen, dass sie einem Betrug aufgesessen war. Die Teeblätter hatten schon einen Aufguss hinter sich und waren wieder sorgfältig getrocknet worden, um Wertloses gegen Wertvolleres zu tauschen. Solch ein unlauteres Geschäft wäre einem Ostfriesen wohl nie in den Sinn gekommen.