So ist Ostfriesland – Balken aus Pilsum findet neue Heimat in Loquard

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Von Pilsum nach Loquard ein balken auf der Reise
Von Pilsum nach Loquard ein balken auf der Reise

Loquard | Beschreibe doch einmal als Kölner, wie sich für dich Ostfriesland anfühlt oder wo du so den Unterschied siehst? fragte mich neulich einer. Ups? Schwer zu sagen. Spürbar anders ist Ostfriesland auf jeden Fall. Hier legt man noch großen Wert auf Tradition und Werterhaltung. So würde ich das nach drei Jahren sagen. „Kennst du ein Beispiel?“ lautet die nächste Frage. “ Ja gerne“ sage ich und erzähle dann die folgende moderne Dorfgeschichte aus der Krummhörn, bei der es um den Erhalt traditioneller Werte und vor allem um Zusammenhalt von Nachbarn in der  Dorfgemeinschaft geht. Eine Geschichte von der Nachbarschaftshilfe.

Die Geschichte geht so:

Als ein alter Dachbalken von Pilsum nach Loquard zog

Da ist erst einmal der Bauer Tjaden in Pilsum. Der hat eine kaputte Scheune. Da wird abgerissen, repariert und die alten Dachbalken, die große Lasten nicht mehr tragen dürfen, werden nicht, wie man es in Städten gewohnt ist, vernichtet, sondern auf einer Wiese gelagert. Man weiß ja nicht, ob man diesen selbst, oder vielleicht ein Anderer, diesen Balken noch einmal gebrauchen kann. Also das sieben Meter lange Gebälk liegt da nun einfach herum. Und wartet.

Alter Balken liegt einsam auf der Bauernwiese in Pilsum
Alter Balken liegt einsam auf der Bauernwiese in Pilsum

Nicht umsonst. Denn der  junge  Loquarder Matthias, unser Nachbar, will ein altes Haus zu neuem Leben erwecken und träumt von einem Riesenbalken, der sein Wohnzimmer schmückt.

Und so begegnen sich der Suchende und der Habende. Der Bauer Tjaden aus Pilsum und der Loquarder Matthias.

Bei der Überlegung, wie teuer der Transport eines sieben Meter langen Kameraden mit einem Gewicht von 600 kg (nasses Holz) wohl ist, wäre dieser Plan in der Stadt bereits in den Binsen gewesen, oder genauer, kaum mehr in Frage gekommen. Doch der junge Mann aus Loquard hat ein höllisches Glück.

Denn der Bauer aus Pilsum freut sich so sehr, das sein alter Balken ein neues Zuhause findet und sagt: „Eh, wenn du den in deinem Haus haben willst, dann schenke ich ihn dir und transportiere ihn dir auch bis nach Loquard.“

Kinners, ist das perfekt? Ja, was wohl? Das ist ober mega genial toll! Das ist es.

Ein Traum wird wahr, denn da war einer, der von alten Balken an der Decke träumt und dann war da einer, der davon träumte, das sein Balken noch einen Platz in diesem Leben findet.

Ihr seht, Ostfriesen träumen anders. Und es scheint so, als würden diese Träume mit dem Wind über Feld und Wiesen getragen, hin zu denen, die auf der gleichen Wellenlänge träumen.

Gesagt, getan. Des Bauers Sohn schmiss den Trecker an. Der Balken wurde auf einen langen Hänger geladen und ab ging die Post von Pilsum die 14 km über die Landstraße gen Loquard.

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Dort standen bereits ein Gabelstapler von Frank Daniels (Nachbarschaftshilfe), sowie zwei Helfer von der Freiwilligen Feuerwehr Loquard / Rysum und neun weitere Nachbarn bereit.

img_3715Viele Leser kennen es vielleicht noch, das traditionelle: „HAU RUCK!“. Wenn alle anpacken und Lasten gemeinsam tragen.

Und ich sage Euch, das Monsterteil ging echt in Rücken und Knie. Und war ein Akt. Ein besonderer Akt. Eine Szene, die einen Film wert gewesen wäre, doch es gab nur einen Fotoapparat.

Weil, der Riesen-Balken musste an einem Baum vorbei durch die Haustür über Eck ins Haus. Hammer, Hammer hart. Das war verdammt knapp und es ging um Zentimeter.

Da hatte der eine oder andere der Helfer beim Lastwechsel teilweise 90 kg in den Knien. Beim Durchgang durch die Tür mussten die Tragestangen und Helfer jeweils unter dem Balken durch ins Haus und somit hatten die übrigen die volle Last zu tragen. Was für eine Aktion!

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Es hat geklappt. Das Mordsding liegt jetzt im Haus. Und um vom Fortgang der Dinge zu berichten, muss das total nasse Gebälk erst einmal trocknen. Dann wird es mit Sand gestrahlt. Dann bearbeitet, geschliffen und grundiert und dann später nach oben gehievt.

Der alte Dachbalken aus Pilsum wird ein wesentlich kleineres Dach noch für Jahrzehnte tragen dürfen. Er kann nun wieder neu glänzen. Ein Stamm, der einst eine Gulfscheune trug, trägt nun ein kleines Bauernhausdach.

Balken liegt in Loquard und stützt bald wieder ein Dach
Balken liegt in Loquard und stützt bald wieder ein Dach

 

So schön sind Tradition und Besinnung auf das Wesentliche im Leben. Gemeinschaft ist stark. Es ist so wichtig, dass wir Wege suchen, unsere Werte zu erhalten und zu pflegen und  sie in die Zukunft übernehmen.

Die Ostfriesen in der Krummhörn zeigen, dass es wichtig ist, dass es Dorfgemeinschaften und Menschen gibt, die noch teilhaben wollen am Leben rings um sie herum. Die Nachbarschaft und gemeinsames Handeln pflegen.

Das klappt nicht immer, werden viele sagen. Stimmt! Aber vielleicht immer öfter, wenn wir daran denken und an den Traditionen festhalten. Ich fand das spannend und werde in der Folge davon berichten, wenn der Balken seinen endgültigen Platz gefunden hat.

Und wenn mal einer auf eine Tee bei mir vorbeikommt, dann kann ich noch viel mehr lauter nette Geschichten von den Ostfriesen in der Krummhörn erzählen. Bis dahin Ihr Lieben!